Und wieder einmal hat mich ein dänischer Krimi von Gretlise Holm begeistert. Die Agatha Christie Dänemarks hat mit Ihrem zweiten Karin Sommer – Krimi Die Robinson-Morde erneut einen gefühlvollen, lebendigen und durchdachten Fall geschaffen. Die stetige Zunahme von vermeintlich natürlichen Todesfällen in einem Altenheim auf der kleinen etwa 600 Einwohner starken Insel Skejø weckt das Interesse der Kriminalreporterin Karin Sommer, die sich auf der Insel einquartiert hatte, um in Ruhe an Ihrem Buch über die Hexerei zu schreiben. Schnell erkennt Karin, dass es zwischen der barbarischen Hexenverfolgung des Mittelalters und dem dörflichen Gemeinschaftsleben der Inselbewohner erschreckende Parallelen gibt.
Eine Insel und ihre Vergangenheit
Eigentlich hatte sich die Kriminalreporterin Karin Sommer bei Ihrer Tante Agnes einquartiert, um abseits der lauten Großstadt an Ihrem Buch über die Hexenverfolgung in Dänemarks Mittelalter zu schreiben. Um die längere Abwesenheit von Ihrer Redaktion genehmigt zu bekommen, verspricht sie zusätzlich einige unterhaltsame Reportagen über das Leben auf Dänemarks Küsteninseln zu schreiben. Als die alte und senile Altenheimbewohnerin Johenne bei der Beerdigung ihres Heimmitbewohners Gustav Kwium aufgebracht eine absichtliche Tötung unterstellt, wird allerdings Karins kriminalistisches Interesse geweckt, denn der Verstorben ist nicht der erste Tote in jüngster Vergangenheit und auch nicht der letzte. Fortan entwickelt sich ihre Inselstudie unter dem Eindruck der möglichen Morde immer mehr zu einer Ermittlung. Aus Gesprächen werden Befragungen und aus Studien werden Beobachtungen. Gibt es wirklich einen Inselrat, der die Alten abwählt, wie in der beliebten Fernsehserie Robinson? Wird im Altenheim aktive Sterbehilfe betrieben? Oder gibt es einen ganz anderen Grund für die vielen Todesfälle? Es gibt viele Motive, viele skurrile Inselbewohner und eine dunkle Inselvergangenheit an deren Aufklärung nicht jeder Inselbewohner Interesse hat. Stattdessen werden unbeliebte Insulaner lieber wie bei mittelalterlichen Hexenverfolgungen öffentlich gemobbt.
Subtil und nah am Leben
Gretelise Holm hat eine besondere Art, ihre Krimis zu schreiben. Die Geschichte wird weniger durch spektakuläre klassischen Krimielementen, wie actionreichen Verfolgungsfahrten, blutrünstigen Morde und nebelige Hinterhöfe erzählte, sondern vermehrt durch intensive, mal witzige und mal nachdenkliche Dialoge und Gedanken. Holm entwickelt so eine besonders authentische Szenerie. Auch das dänische Inselflair entspringt nicht aus der Beschreibung klischeehafter, kitschiger Reiseführerbilder, sondern durch das sehr eindrucksvolle Erzählen von alltäglichen Erlebnissen, Gedanken und Dialogen. Dabei streut Holm eine gehörige Portion Witz mit ein, was zu einem großen Unterhaltungswert beiträgt.
Wie schon bei Holms erstem Karin Sommer – Krimi Ein anständiger Mord spart die Autorin nicht an journalistischen Einflüssen. Mehr oder weniger intensiv streut die Vollblutjournalistin Themen, wie Sterbehilfe, das Leben im Alter, Sektenproblematik, Alkoholkonsum, Satanismus und vieles mehr mit in die Story ein. Dies führt hier und dort zu langwierigen Ausflügen weg von der Story. Schon zu Beginn wird der Leser intensiv mit dem Thema Altersdemenz konfrontiert, als Johenne wirr und nach verlorenen Gedanken suchend durch das Altenheim geistert. Jeder dieser journalistische Ausflüge öffnet dem Leser allerdings Erkenntnisse und Verständnis für das Verhalten einzelner Protagonisten. So nimmt Holm seine Leser auch mit zu einem unerwarteten Exkurs in das Sektenleben im Amerika der siebziger Jahre. Eine Erfahrung für den Leser, die beim späteren Einschätzen eines Protagonisten durchaus hilfreich ist. Wer Holm ließt, braucht eben etwas Zeit; der Täter und das Motiv werden nicht klassisch logisch per Gerichtsmediziner, Fingerabdruck oder DNA-Analyse ermittelt, sondern gefühlvoll erlebt und erfahren. Etwas aufgesetzt wirkt allerdings der Vergleich der mittelalterlichen Hexenjagt mit der modernen Bekämpfung von gesellschafts- oder systemunangepassten Kriminellen, wie z.B. Terroristen. Hier verarbeitet Holm meines Erachtens Ihre Kritik an strittigen dänischen Justizmethoden sehr unangemessen und unpassend in die Geschichte.
Gut gelesen, schlecht geschnitten
Auch der zweite Karin Sommer – Krimi wird von Marion Reuter gelesen. Eine tolle Stimme, die sich nicht verbiegt, wenn es spannend oder witzig werden soll, sondern ihrem Ausdruck bis zum letzten Wort treu bleibt. Mit leichten Wechseln in der Betonung schafft sie es, dramaturgische Höhen entsprechend zu würdigen. Sehr dilettantisch wirkt auf mich allerdings der Schnitt. Die 162 mp3 Häppchen scheinen ohne Berücksichtigung der Dramaturgie gleichgroß zurecht geschnibbelt worden zu sein. So kommt es vor, das ein Track mitten im Satz endet oder eine neue räumliche oder inhaltliche Sequenz der Geschichte (z.B. Kapitel) ohne Pause starten, so dass der Hörer den Wechsel von Raum und Zeit zunächst nicht mitbekommt.
Fazit:
Die Robinson-Morde von Gretelise Holm sind wieder ein besonderer dänischer Leckerbissen. Eine durchdachte, authentische Story mit sympathischen Protagonisten und das konsequente Auslassen von Klischees machen den Krimi zu einem lebendigen Werk. Die zum Teil etwas übertriebenen und streckenden journalistischen Exkurse des Buches werden durch ein gutes Maß an witzigen Dialogen, Gedanken und Situationen wieder ausgeglichen, so dass der Krimi im Ganzen sehr unterhaltend ist. Ich würde dem Roman vier und ein halbes Kreuzchen vergeben. Da ich mich aber zwischen vier und fünf entscheiden muss und zu einer Hörspielrezension auch die Hörspielproduktion mit einbezogen werden muss, kann ich nur vier Kreuzchen geben, denn der Schnitt der Tracks ist sehr leserunfreundlich.
Das Hörbuch Die Robinson – Morde von Gretelise Holm (gelesen von Marion Reuter) ist am 15. Januar 2014 im Egmont Hörverlag erschienen. Gesamtspielzeit: 10:23